Das Akademieprojekt

 

Umschlag Du August 1944
In der Du-Ausgabe vom September 1954 veröffentlichte W.R. Corti zum ersten Mal seine Vision der «Akademie für ethische Forschung». Illustriert wurde der Beitrag durch Arbeiten der Architekturstudenten von Prof. Dr. Hans Hofmann, die in Form von Semesterarbeiten mögliche architektonische Umsetzungen entwarfen.

    

10 Jahre nach seinem Kinderdorfprojekt veröffentlichte Corti 1954 - wiederum in der Zeitschrift ‚Du‘ - den Aufruf zur Gründung einer Akademie, welche sich den grossen Fragen der Zeit stellen sollte.
«Warum ist der Mensch des Menschen Mörder? Warum treibt ihn der Hass so sehr und die Liebe so wenig? Wie ist es möglich, dass die Völker dazu gebracht werden, unvorstellbare Summen für die Anfertigung von Waffen auszugeben und sich mit diesen gegenseitig zu töten? Ist es die Angst allein, in deren Bann sie stehen, und nicht auch ein unbewusster dunkler Lustgewinn am erhofften Sieg der eigenen Macht und Ehre? (…) Muss es immer Kriege geben, weil es keine Mittel gegen den Krieg gibt? Werden die Ursachen des Krieges ebenso genau und eifrig erforscht wie das Innere der Atome? Wo sind dann die Forschungsinstitute dieser Aufgabe? Warum werden für sie nicht Millionen und Millionen ausgeworfen?» (Bd. 4, S. 10f.)

Die Gelehrtensiedlung im Grünen
«Noch fehlt der Menschheit eine Stätte, eine Gelehrtensiedlung, welche die Forschungen aller Wissenszweige zur übersichtlichen und allgemeinverständlichen Synthese bringt. Die Wissenschaft muss ihrem Wesen nach im Zweigsystem der Einzelforschungen vor sich gehen, das Spezialistentum ist Schicksal, sie kann nicht genug dezentralisiert werden, um möglichst breit, möglichst viel zu bauen. Das schliesst aber ihre sammelnde, zentrierende Funktion nicht aus. Dieser eine konkrete Stätte zu bauen, bildet die heimliche Sehnsucht der Jahrhunderte, die in unserer Zeit ihre krönende Erfüllung finden möge.
Man wird sie in dankbarer Erinnerung an Platons Gründung die Akademie nennen. Es ist eine weitläufige Siedlung vorgesehen, in der Nähe einer Universitätsstadt, in stiller, besinnlicher Ländlichkeit.» (Bd. 4, S. 14f.)

Scheiternde Realisierungsversuche
Das Projekt einer Gelehrtensiedlung fand durchaus Anklang, und es bildete sich ein Förderverein «Bauhütte der Akademie». Allerdings erwies sich die Suche nach einem geeigneten Standort im Vergleich zum Kinderdorf-Projekt als schwieriger. Die Gründung einer Akademie konnte schwerlich zu einem volkstümlichen Projekt werden, auch wenn die Idee gewissermassen in der Luft lag und bald auch anderswo ähnliche Vorhaben realisiert wurden: 1962 wurde der Bau der katholischen Paulus-Akademie beschlossen und der Grundstein zum Gottlieb Duttweiler Institut gelegt, und auch für Cortis Akademie-Plan schien dieses Jahr das entscheidende zu werden:
«Am 29. August 1962 hat die ‚Bauhütte der Akademie‘ in der Gemeinde Uetikon am Zürichsee oben am Pfannenstiel ein Gelände von 22 000 Quadratmetern erstanden, das sich herrlicher gelegen kaum denken lässt. Es ist ein durch Waldschutz eingegrenztes Plateau mit dem klassischen Blick auf den See und hinüber nach dem Rigi, bei guter Fernsicht bis zu den bernischen Bergriesen des Jungfraumassives.» (Bd. 4, S. 286)

«Auf dem harterrungenen Gelände soll nun die Akademie erstehen, als eine Stätte der Forschung, eine Stätte der Anstrengung aller wissenschaftlichen Mittel und Methoden, zu erkennen, was den Geist in den Ungeist treibt, die uns Menschen mögliche Klarheit immer wieder verdunkelt, was den Menschen entmenscht, das ständige Schlittern in die Reusen der Verhängnisse ermöglicht. Eine Stätte der Freiheit und Wahrheit, eine Republik der Suchenden.» (Bd. 4, S. 288)

Eine Bürgerbewegung stellte sich jedoch gegen das Projekt und erreichte an einer Gemeindeversammlung, dass die gewährte Teilbauordnung 1970 wieder aufgehoben wurde (Bd. 4, S. 289). Spätere Realisierungsversuche scheiterten ebenfalls.

Der «Arbeitskreis für ethische Forschung» an der Universität Zürich
Kontakte mit dem Philosophen Helmut Holzhey führten schliesslich zu einer Wiederbelebung des Akademiegedankens, wenn auch in kleinerem Rahmen: Im «Schweizerischen Arbeitskreis für ethische Forschung» trafen sich unter der Leitung Holzheys ab 1985 über rund ein Dutzend Jahre namhafte Persönlichkeiten vor allem aus der Wissenschaft, aber auch aus Politik und Gesellschaft zur Diskussion von Themen der Zeit (Rolle der Medien, Genderfragen, Tierversuche und Bioethik, Grundannahmen der Ökonomie, Menschenrechte, Recht und Moral). In den neunziger Jahren beendete der Arbeitskreis dann seine Aktivitäten. Die Situation hatte sich stark verändert. Während Corti noch davon ausgegangen war, eine Akademie müsse ausserhalb der Universität angesiedelt werden, waren die Anlässe zur Begegnung unter den Wissenschaftern mittlerweile derart institutionalisiert, dass kein zwingendes Bedürfnis mehr nach einem weiteren Diskussionsforum bestand. Die Universität beispielsweise hatte im so genannten Abegghaus ein von Philosophen und Theologen gemeinsam getragenes Ethik-Zentrum geschaffen. – Hier fand schliesslich auch das «Archiv für genetische Philosophie», ein weiteres Element des Cortischen Lebenswerks, eine feste Bleibe.